Medieninhaltsanalyse

DARSTELLUNG GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GEWALT IM DEUTSCHEN TV

Medien prägen unsere Wahrnehmung der Realität und haben damit eine besondere Verantwortung. Das gilt umso mehr für ein gesellschaftlich so dringliches Thema wie geschlechtsspezifische Gewalt. Wie audiovisuelle Medien diese darstellen, ist in Deutschland bisher jedoch wenig erforscht. Eine Studie, die von der MaLisa Stiftung und der UFA GmbH gefördert wurde, bietet den ersten repräsentativen Überblick für die deutschen TV-Programme.

Die Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt, von der überwiegend Frauen und Mädchen betroffen sind, sind alarmierend: Jede dritte Frau in Deutschland hat schon körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt, über die Hälfte wurde sexuell belästigt, jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Dennoch findet das Thema in Gesellschaft und Politik bisher nicht die angemessene Aufmerksamkeit. Medien können in diesem Kontext eine wichtige Rolle spielen. Doch auch die Frage, wie Medien in Deutschland das Thema geschlechterbasierte Gewalt behandeln, wurde bisher wenig beleuchtet. Insbesondere für das deutsche Fernsehen gab es bisher keine repräsentativen Daten.

 

Vor diesem Hintergrund haben die MaLisa Stiftung und die UFA GmbH die Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen. Eine Medieninhaltsanalyse“ initiiert und gefördert. Ermöglicht wurde die Studie zudem durch die Unterstützung der Autorin und Regisseurin Anika Decker sowie durch das Preisgeld des Soroptimist International Deutschland Preises, den die Stiftung 2020 erhielt.

 

Die Untersuchung liefert erstmals eine umfassende qualitative Auswertung der Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen Fernsehen. Sie wurde von Prof. Dr. Christine Linke und Ruth Kasdorf M.A. durchgeführt und ist ein Kooperationsprojekt der Hochschule Wismar und der Universität Rostock. Analysiert wurde eine repräsentative Stichprobe der Programme von acht TV-Sendern (Das Erste, ZDF, RTL, RTL2, Vox, ProSieben, SAT1 und Kabel Eins), die 2020 zwischen 18 und 22 Uhr ausgestrahlt wurden. Insgesamt wurde über 450 Stunden Material ausgewertet.

DIE ERGEBNISSE ZEIGEN

  • Geschlechtsspezifische Gewalt kommt in rund einem Drittel (34 %) der Sendungen vor. Häufig handelt es sich dabei um explizite und schwere Gewalt gegen Frauen und Kinder.
  • Sie wird in unterschiedlichen Programmsparten (Fiktion, Information und Unterhaltung) und Genres (Krimi-Serie, Spielfilm, Animation, Nachrichten, Boulevard, Doku-Soap u.a.) dargestellt, inklusive in Kinder- und Familienfilmen. Am häufigsten kommt sie jedoch in fiktionalen Programmen vor (66 %) und innerhalb dieser meist in Krimi-Serien (26 %) und Spielfilmen (13 %).
  • Die Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt kommen nur in 8 Prozent der Darstellungen ausführlich selbst zu Wort.
  • Im Verhältnis zur Realität sind bestimmte Gewaltformen im Fernsehen überrepräsentiert, während andere unterrepräsentiert sind. Der Anteil von Mord als geschlechtsspezifische Gewalt ist im TV deutlich höher, während der Anteil von Körperverletzung deutlich niedriger ist.
  • Bei der Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen TV fehlen häufig
    • Vorabwarnungen über den Inhalt,
    • Hinweise auf Beratungs- und Unterstützungsangebote für Betroffene,
    • die Beschreibung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, z.B. durch Fachleute aus der Anti-Gewalt-Arbeit, und Möglichkeiten der Prävention, und
    • eine systematische Einbeziehung der Betroffenen-Perspektive.

Eine Feinanalyse zeigt in der TV-Information ein Spektrum zwischen Orientierung an journalistischen Qualitätskriterien und Sensationalisierung geschlechtsspezifischer Gewalt. In Dokumentationen (am Beispiel von True Crime) ist eine Sexualisierung und Stereotypisierungen im Kontext geschlechtsspezifischer Gewalt sichtbar. Hypersexualisierte Gewalt ist insbesondere im Action-/Agentenfilm präsent. In Daily-Soap/Scripted-Reality und Doku-Soap/Reality-Soap waren missbräuchliche Inszenierungen und Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt mehrfach präsent. Dies ist besonders bedenklich, da es die bereits in der Gesellschaft bestehenden verzerrten Vorstellungen über die Häufigkeit von Falschanschuldigungen verstärken könnte. Sexuelle Orientierung und Homofeindlichkeit ist als Kontext für geschlechtsspezifische Gewalt sichtbar.

 

FAZIT UND AUSBLICK

 

Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten, in welchem Kontext sie sie darstellen, welche Vorstellungen und (Rollen-)Bilder sie dabei vermitteln, beeinflusst die gesellschaftliche Wahrnehmung von Gewalt gegen Frauen, ihren Folgen und den Möglichkeiten, ihr entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund kann die mediale Darstellung zur Prävention und Überwindung geschlechtsspezifischer Gewalt beitragen oder ihr im Weg stehen. Da jede dritte Frau ab dem Alter von 15 Jahren in Deutschland bereits Gewalt erfahren hat, ist es wahrscheinlich, dass sowohl ein entsprechender Anteil des weiblichen Publikums, als auch der an Produktionen beteiligten weiblichen Medienschaffenden Betroffene sind.

 

Die Studienergebnisse machen deutlich, dass ein bewussterer Umgang mit der Thematik und der Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt und ihrer Auswirkungen geboten ist. Dafür ist fundiertes Fachwissen zu der Thematik und ein Bewusstsein bezüglich der möglichen Auswirkungen der medialen Darstellungen auf (potentielle) Betroffene notwendig. Das Heranziehen von Expert*innen in der Entwicklungsphase von Programmen, sowie eine Verankerung der Themen bereits in der Ausbildung für Medienberufe – beispielsweise in Journalismus-Schulen und Filmhochschulen – können hier eine wichtige Rolle spielen und nachhaltig wirken. Hierfür können bereits vorhandene Lösungsansätze und Tools eingesetzt werden. Auch für die Bereiche Fiktion und Unterhaltung können Leitfäden oder andere maßgeschneiderte Tools entwickelt werden.

UNTERSTÜTZUNGSANGEBOTE FÜR BETROFFENE

 

Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen https://www.hilfetelefon.de/ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben.

 

Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/startseite berät Jugendliche und Erwachsene telefonisch und online vertraulich und datensicher zu allen Fragen, die mit dem Thema sexueller Missbrauch zu tun haben.

 

Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass ein bewussterer Umgang mit der Thematik und der Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt und ihrer Auswirkungen geboten ist. Die MaLisa Stiftung bietet allen Akteur*innen der Medienbranche individuelle Begleitung und Unterstützung bei der Umsetzung. Kontakt: karin@malisastiftung.org

 

Das zum Download verfügbare PDF zum medialen Umgang mit dem Thema Gewalt gegen Frauen: Tipps für Medienschaffende (Schwerpunkt TV, Fiktion) fasst einige Kernpunkte zusammen, die insbesondere für den Bereich Fiktion zu bedenken sind.

Als Handreichung für Medienschaffende hat Stiftungsleiterin Karin Heisecke eine ausführliche Übersicht mit Handlungsoptionen, Tipps und Tools zum Umgang mit dem Medienthema „Gewalt gegen Frauen“ zusammengestellt. Das Spektrum reicht von kurzen und prägnanten Leitfäden, die als Checklisten für den Redaktionsalltag geeignet sind bis zu ausführlich einordnenden Analysen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

 

Am 24.11.2023 haben Women in Film & Television Germany (WIFT), die MaLisa Stiftung und der Bundesverband Schauspiel (BFFS) ein Impulspapier zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt in Kino, Streaming und Fernsehen (hier bitte den Link zum pdf hinterlegen) veröffentlicht.

GRAFIKEN ZUR STUDIE

Medieninhaltsanalyse

Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen TV

MEDIENINHALTSANALYSE GESCHLECHTSSPEZIFISCHE GEWALT IM DEUTSCHE FERNSEHEN

Pressemitteilung zur Studie




Fotocredit: Engin Akyurt on Unsplash